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Christian Hain

Kindl&Schinkel, Kunst, Bier und Crypto


(Berlin.) Schinkel Pavillon tut mehr als bloß Presseveranstaltungen für obskure Mauerneubau–Projekte in Promotion einer Kunstfilmserie zu veranstalten. Obskure Kunstaustellungen veranstalten, zum Beispiel. Zwei davon haben kürzlich Eröffnung gefeiert.

Sie kennen sich mit Blockchains aus? Nicht? Gut, alles was Sie wissen müssen ist, daß es sich um eine neue Technologie handelt, um “virtuelle” Währungen à la Bitcoins – jetzt sind sie wach, davon haben Sie schon gehört! – zu “prägen” und ja: Sie hätten da definitiv vor ein paar Jahren schon einsteigen, oder digital nach den Dingern “schürfen” sollen. Blockchaintechnologie funktioniert durch Zauberei. Und außerdem, indem jedes “Glied” einer “Kette” hackfest verschlüsselt wird und bei jedem Gebrauch des Ganzen neue Glieder hinten drangehängt werden (oder so ähnlich, meine eigenen Kenntnisse erschöpfen sich in diesen Grundzügen). Blockchains sind der neueste Hype, die nächste Spekulationsblase: “Crypto” ist des Millenials dotcom (nein, nicht er), unzählige Hallodris starten heute ihr Business up unter hippen Namen, die imperativ das Anhängsel “und crypto” beinhalten müssen. “wartsmagazine - Blog und Crypto” würde die Besucherzahlen hier verdreifachen – aber was sage ich da: keine halbe Stunde verginge, bevor mir der Web Hoster eine E-Mail schickte mit der höflich-aber-bestimmten Anregung, doch bitte in einen Tarif mit unbeschränkter Bandbreite zu wechseln. Das funktioniert übrigens in so ziemlich allen Branchen, selbst der “Bedudelte Pudel, Schankwirtschaft und Crypto” würde die Konkurrenz im Nu annihilieren und wer wäre noch überrascht, bald “Ronnie Schmitt’s’ Abwassertechnik und Crypto“, oder “Krethi und Plethi, Parkettverlegung und Crypto” auf rechts überholenden Lieferwagen zu entziffern?

Das Hauptproblem mit den viertuellen Währungen bleibt die Frage, warum irgendjemand sie nun eigentlich ausgeben, i.e. für Waren oder Diensteleistungen eintauschen sollte, könnte sich der Wert doch innert der nächsten zehn Minuten (sprich: wird sich mit Sicherheit mindestens) verdreifachen. In gewissen Zirkeln, habe ich mir sagen lassen, sei die Feststellung nicht ungewöhnlich, man ‘könnte jetzt noch zehn Millionen reicher’ sein, hätte man nur nicht die Cola am Automaten in Tokio gezogen, damals, vor einer Woche.

Die Technologie wurde von einem Individuum oder einer Gruppe entwickelt, das respektive die sich hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto verbirgt. Trotz des Hypes vermochte bisher noch niemand, ihn zu enttarnen. Nakamotosan (warum eigentlich nicht “Nakatomi”?) blockt (hehe) erfolgreich alle Versuche, seine Identität zu entschlüsseln. Ein wahrhaftiger Bruce Wayne dessen Geheimnis niemand kennt, “niemand” mit der Ausnahme von Anlageberatern (private banking im family office) und Finanzbeamten – vollständige Anonymität ist in unserer Welt kaum je realisierbar, es sei denn, Nakamoto war von Beginn an im R&D eines multinationalen Unterweltsyndikats beschäftigt. Denkt man darüber nach, erscheint dies allerdings als das wahrscheinlichste Szenario. T̶r̶ü̶g̶e̶ ̶I̶h̶n̶e̶n̶ ̶j̶e̶m̶a̶n̶d̶ ̶a̶u̶f̶ ̶ Befähle Ihnen jemand, die perfekte Geldwaschmaschine zu erfinden, ein Angebot das Sie nicht ablehnen können, niemand könnte auf eine bessere Idee kommen als Crypto Währungen. Satoshi Nakamuras geschätzes Privatvermögen übersteigt denn auch dasjenige Pablo Escobars, der nach allem was man weiß mit um die 30 Milliarden Dollar auf der hohen Kante verstarb und damit noch immer als der reichte Gangster der Geschichte gilt.

Das vorerst letzte Lebenszeichen Nakamotos datiert mehrere Jahre zurück, möglicherweise wußte er zuviel.

Wenn Blockchain-Crypto-Technologie-Nonsens eines nicht ist, dann Kunst (es sei denn, Sie haben einen besonderen Platz in Ihrem Herzen für den liebenswerten Gauner, den adretten Anlagebetrüger, reserviert).

Eine Gruppe kuratierender Nerds und Künstler sieht das anders. Um Proof of Work im Schinkel Pavillon schätzen zu können, ist ein umfassendes Verständnis des Konzepts und der Abläufe von Blockchains unabdingbar. Was wiederum ein gesteigertes Interesse an Blockchains, und Technologie im allgemeinen, voraussetzt. Dann könnten Sie allerdings auch zuhause bleiben, oder wo immer Sie Ihr Telefon gerade bedienen, die Hintergrundtexte zur Ausstellung lesen und (eventuell) noch ein paar Eindrücke von Insta hinzuziehen, Veranlassung zu einem physischen Besuch im Schinkel Pavillon besteht jedenfalls nicht.

Am Eingang empfängt Sie ein Poster mit den Namen der Kuratoren und ihnen, in welcher Weise auch immer, nahestehenden Personen in Form einer Graphik, eines Stammbaums oder einer Blockchain–Illustration. Vielleicht möchte man damit noch einmal nachdrücklich zu verstehen geben, daß die eigene Tätigkeit mindestens ebenso hoch zu werten ist wie der Beitrag der Künstler. Sie ist es nicht.

Andererseits ist die sich hier anschließende Kunst auch eher auf der langweiligen, steril-leeren, Seite zu verorten. Als positive Ausnahme mögen zwei durchsichtige Quarantänezelte gelten, begehbar, jedoch kaum mit Kunst gefüllt. Der Besucher dringt durch leicht suggestive vertikale Schlitze in sie ein (->Lucio Fontana suggerierend, oder was haben Sie gedacht?). Unter die spärliche Einrichtung des einen zählt ein Plastikbehälter mit den verbrannten Überresten mehrerer Euroscheine, echt oder gefälscht: wer weiß es schon. Es war einigermaßen skandalös als Bill Drummond und Jimmy Cauty ähnliches taten, Anfang der Neunizger, mit einer Million (echter) Pfund. Künstler sind i.a. weniger gut situiert als Künstler-Schrägstrich-Musiker, bei Schinkel waren es dem Anschein nach nicht mehr als hundert Euro.

Wieder draußen, aus den Zelten nicht dem Pavillon, gibt es einen einsamen Bonsai-Baum zu bestaunen, über dessen Schicksal Internet-Nutzer in Echtzeit entscheiden. Fast wie ein Tamagochi, bloß daß hier eine biologische Lebensform vegetiert. Gönnen Sie ihr Wasser, Licht, lassen Sie sie beschneiden, und auch der Server kostet Geld (virtuelles, doch echtes): die Nebenkosten, die jeder Spende zu eigen sind. Sie entscheiden. Könnte potentiell auch mit menschlichen Häftlingen funktionieren.

Es ist schwer, Blockchain-Technologien in Kunst zu übersetzen, oder bloß künstlerisch zu thematisieren. Ein fein modellierter Schwertfisch – 3D-gedruckt? - trägt da eine Baskenmütze auf dem Kopf (“ha! ha! ha! also nein, was sich diese verrückten Künstler alles einfallen lassen”), und einiges Gekritzel auf dem Rücken, “autumn/hiver” (English/Französisch für Herbst/Winter), “cream” (Crème), “sinners” (Sünder), “freaks” (Mißgeburten) etc. Eventuell wurde der Künstler an seiner Hochschule gemobbt und nach dieser einen Party fielen die Kommilitonen mit Permanent-Markern über sein Werk her. Des Fisches Schwert ist ein Eßstäbchen. Was das alles mit Blockchains zu tun hat? ... ... ... Ja. ... Gut. ... Gute Frage. Hat es bestimmt. Aber ich bin bloß ein ignoranter Troll.

Eine zweite Ausstellung, Henrik Olesens Hey Panopticum! Hey Asymmetry! im ersten Stock ist unter ästhetischen Gesichtspunkten vernachlässigenswert; jene sind quasi inexistent. Konzeptuell dagegen nicht uninteressant. Das Prinzip des Panoptikums, Zellen und Insassen in einem weiten Kreis um den zentralen Wachtposten herum zu postieren, wie Jeremy Bentham es ursprünglich erdachte, bedeutete eine Revolution in der Gefängnisarchitektur. Eine überaus nutzenstiftende Idee - für die Allgemeinheit der größtmöglichen Zahl, nicht für den individuellen Sträfling. In unserem Fall nehmen Besucher die Position des Wârters ein und gefangen ist die Kunst.

Oder auch nicht, die Analogie reicht nicht einmal soweit: Kunst bedeckt nicht bloß die Wände, sondern auch den Innenraum, zum größten Teil Worte und Sätze in vielfacher Wiederholung auf Aufklebern und Pappen. Im Zentrum steht die schrittweise Metamorphose von Alltagsobjekten, hauptsächlich Lebensmitteln, zu Konsumprodukten und Kunst. Milch-und Saftkartons, Fertiggerichte und mehr erscheinen im Zustande fortschreitender Übermalung, verlieren ihre Identität (und Readymade-igkeit), verwandeln sich in etwas neues oder zumindest anderes. Eine Ausgabe der Ovidschen Metamorphosen hinter Glas stützt die Interpretation. Aufgestellt in Reihen, erinnern die tetrapaks rein optisch an... eine Kette von Blöcken (englisch: “chain of blocks”), aber das tut in dieser Ausstellung wohl nichts zur Sache.

Der Eintritt kostet fünf Euro, anderswo in Berlin ist das eine Currywurst, ein Bier, und Trinkgeld. Das Bier könnte ein Kindl sein, und welch eine Überleitung! Es gibt Neuigkeiten von dem Brauereieigenen Kunstzentrum im hippen Partyghetto südlich des Hermannplatzes (gelegentliche Schießereien sollten Sie nicht von einem Besuch der Bars und multikulturellen Imbißbuden abhalten).

Im Ausschank sind zwei neue Austellungen sowie, während der Eröffnung und draußen, ein neues Biobräu. Auf einen Test des letzteren verzichtete ich, um meine volle Aufmerksamkeit der Kunst zu widmen. Drei (noch mehr?) Treppen hoch zeigt Kathrin Sonntag photographische Gegenüberstellungen u.a. einer Birne und eines Scherenschnitts, eines Porzellangefäßes und einer Banane, einer Teekanne und eines Ozeandampfers, etc pp, gar einer Schlange und eines Kabels. Sie haben das schon gesehen, oft. In anderen Serien protokolliert die Künstlerin Alltagsäthetik, die zufällige (Nicht-)Geometrie ungeplanter Kompositionen. Daran gibt es nichts auszusetzen. Jeder Kunst- oder Photo-Student tut das. Sie haben es bereits getan. Sogar berühmte Künstler. Eigentlich wollte ich jetzt etwas in der Art von “Richard Wentworth bei Kindl!“ schreiben. Belassen wir es bei der Feststellung, Sonntag muß eine begeisterte Bewunderin des Bildhauers photographischer Arbeiten sein.

Eine Werkserie ist hervorzuheben: Dreidimensionale und vielschichtige Collagen auf Papier, in denen photographische Formen zwanglos ineinanderfließen. Der Rest ist unnötig, und ganz lieblos präsentiert. In billigen Rahmen häßlicher als Ikeas, wahllos an die Wände geschmissen, hat hier der Hausmeister die Szenographie verantwortet? Passenderweise plazierte die Künstlerin zwei Leitern vor leeren, halbgestrichenen (gelb) Wänden. Jaha, das Wort “Maler” ist ein “Teekesselchen”, zwei Berufe teilen sich den einen Namen. Das hat noch niemand je bemerkt. Eine letzte Photoarbeit bezeugt die Belästigung eines Katzenhinterns mit einer Banane (#miautoo). Sonntag fand die Idee so umwerfend, sie war ihr ein Tryptichon wert.

Drei Treppen wieder runter und doch kaum weniger in die Höhe ragend, bespielt Thomas Scheibitz den riesigen Kesselraum der ehemaligen Brauerrei mit einer Installation, die... riesig ist. Und großartig, zwischen MERZbau und Puppenhausmöbel für des Brobdingnags Brut gelingt es ihm, Kunst in die Weite des erbarmungslosen Raums zu integrieren. Beeindruckend, dabei erinnern einzelne Teile und Perspektiven an ausgestanzte Buchstabenreste, größer, doch ungleich schwerer zu entziffern als jede Augenarzttafel. Ein Werk für Ihr Gäste-WC (Sie sind doch ein typischer Kunstsamler)?

P.S.: Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn Google nachfragt, ob Sie tatsächlich “Kindl” meinen wie getippt, oder nicht doch lieber einen “Kindle” bestellen möchten. “Eine Hand wäscht die andere”; kaufen Sie keinen Amazon Kindle, kaufen Sie Papierbücher.

Proof of Work, 8. September-21. Dezember 2018;

Henrik Olesen, Hey Panopticon! Hey Asymmetry!, 8 September-21 December 2018, Schinkel Pavillon

Kathrin Sonntag, Things doing their things, 9. September 2018-27. Januar 2019;

Thomas Scheibitz, Plateau mit Halbfigur, 9. September 2018-12. Mai 2019,

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


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