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Christian Hain

Eine Mauer ist eine Mauer. Es kommt darauf an, wer sie nutzt. Ilya Khrzhanovski und der DAU


​(Berlin.) So manch ein Bürger Berlins, und Deutschlands, stünde einer Rückkehr der Mauer nicht prinzipiell ablehnend gegenüber, und das aus ganz unterschiedlichen Gründen - kulturell, politisch, oder auch linguistisch (Sächsisch...). Die vieldiskutierte unsichtbare Grenze trennt noch immer was von 1871 bis 1942 geeint war und es seit 1990 wieder ist. Endlich nun werden die Gebete erhört, zum Teil zumindest: Wenn der ukrainische Regisseur und Künstler Ilya Khrzhanovski seinen Film DAU in Berlin präsentiert, bringt er Beton und Stacheldraht als Gastgeschenk.

Die Kunstwelt legt bekanntermaßen ebenso viel Wert auf die Präsentationsform eines Films, seine Aufführungsbedingungen, wie auf die Bilder selbst; skulptural muß es sein und am besten nennt man das ganze noch eine "Multi-Kanal-Video-Installation". Set and setting. Es kann daher kaum überraschen, daß Illya K. den Plan faßte, anläßlich seiner Premiere die Berliner Mauer wiederzuerrichten. Die Eröffnung der Installation ist bereits für den 12. Oktober diesen Jahres vorgesehen, sofern alle nötigen Genehmigungen pünktlich erteilt werden (letzte Nachrichten lassen daran leider große Zweifel aufkommen). Derweil lud man schon einmal zur Pressekonferenz, um das Projekt der Öffentlichkeit zu verkauf-- nahezubringen. Hieran beteiligt sich natürlich auch dieser bescheidene Blog gerne.

Die neue Mauer soll nicht Berlin/Deutschland/Europa teilen, sondern nur ein Stück aus der Stadt schneiden, ein Areal zwischen Staatsoper und Spree einschließlich des Schinkel Pavillons, welcher die Gelegenheit dankbar wahrnahm, besagte Pressekonferenz auszurichten, die auf großes Interesse weit über den üblichen Kreis der Kunst- und Kulturberichterstattung hinaus stieß. Der Projektname wurde dabei leider nicht näher erörtert, obgleich doch gerade dessen Hintergründe interessant scheinen:

"DAU" ist ein seit Jahrzehnten gebräuchlicher Begriff in der IT-Sprache, den “Dumbest Assumable User” - zu deutsch: den “Dümmsten Anzunehmenden User” - bezeichnend, ein Konzept, um neue Software (oder, wie Marketingabteilungen uns erfolgreich gelehrt haben: "Apps") auf ihre "Idiotensicherheit" hin zu testen. Was würde geschehen, setzte sich ein RTL2-Mitarbei... ein beliebiges, intellektuell defizitäres, menschliches Wesen hin, die neueste Entwicklung Ihres Unternehmens auszuprobieren? Der DAU fungiert hier gewissermaßen als (fiktionaler) Erfüllungsgehilfe von Murphy's Law.

Die Ukraine ist zwar weithin bekannt für ihre "Programmiersklaven" ("code monkeys"), kostengünstig in allerlei ausgelagerten Rechenzentren westlicher Unternehmen schuftende IT-Spezialisten - mithin das Gegenteil des DAUs, aber fragen Sie nicht nach einer Übersetzung des Terminus' ins Ukrainische. Um ehrlich zu sein, hege ich gewisse Zweifel, daß den Verantwortlichen jener Kontext überhaupt geläufig ist. "DAU" mag in diesem Falle auch für etwas ganz anderes stehen (eine oberflächliche Online-Recherche erbrachte nur bei google translate die Erkenntnis, "Dau" sei Ukrainisch für Englisch "a lot", also "viel". Kein anderes Übersetzungstool mochte dies bestätigen). Momentan läuft im Museum Hamburger Bahnhof eine groß...beworbene Austellung/Neupräsentation der ständigen Sammlung, und ein anonymer Praktikant verleitete computerunbedarfte Kuratoren und Funktionäre zu dem Titel Hello World, auf dessen Signifikanz jene dann auch nicht näher eingingen (die Ausstellung ist nicht interessant genug, weitere Worte über sie zu verlieren).

DAU ist nicht nur ein Film, sondern ein Projekt, nicht allein weil das gleich viel eindrucksvoller klingt, nein, um ganz genau zu sein, handelt es sich sogar um die gefilmte Dokumentation eines Projekts, das Kunst ins Leben erweitert(e) und vice versa: Mehrere Jahre lang lebten nicht gänzlich unnostalgisch eingestellte Menschen (und -innen! natürlich) auf einem abgeschloßenen Areal nahe der ukrainischen Stadt Kharkov zusammen und umgaben sich ausschließlich mit aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts stammenden Gegenständen. Die Kommune zog ihre Inspiration aus einer sowjetischen mathematisch-physikalischen Forschungseinrichtung, die ihre Angestellten in vergleichbarer Isolation hielt (weniger freiwillig, und ohne Anachronismen da kontemporär). Erinnert Sie das an TV-Shows - oder auch die vielgerühmten Arbeitsbedingungen bei Google -, wurde die Idee von EnDeMol oder einer anderen Trash-Produktionsfirma übernommen? Vergleichbare Konzepte existieren in vielen Ländern, regelmäßig werden Kandidaten auf "Farmen des 19. Jahrhunderts" etc. geschickt (und leider auch wieder zurückgeholt). Hier jedoch handelt es sich um Kunst. Und ganz grundsätzlich klingt es nach einer reizvollen Erfahrung, einmal die "reale" Welt hinter sich zu lassen und für eine Weile in einem Traum zu leben.

Eine zurückhaltende Person, die sich nicht allein dem Blitzlicht aussetzen möchte, und überhaupt: Die Masse (der Teilnehmer) ist weitaus wichtiger als jeder Einzelne, beehrte der Regisseur die Pressekonferenz nicht mit seiner Anwesenheit, oder falls er dies tat, so gab er sich zumindest nicht zu erkennen. Statt seiner nahm Tom Lola Runs Tykwer auf der Bühne Platz. Das macht Sinn: Sind Sie ein ukrainischer Filmemacher und möchten ihr neuestes Werk im Ausland vorstellen, wo niemand auch nur eine einzige Silbe Ihres vielsilbigen Namens auszusprechen vermag, schicken Sie doch einfach einen berühmte(re)n Kollegen vor. Denn Sie sind eine zurückhaltende Person, die sich nicht allein dem Blitzlicht aussetzen möchte, und überhaupt, die Masse (der Teilnehmer) überwiegt jedes Individuum. Stand jetzt plant Ilya Kr... - nun schenke doch jemand dem Mann endlich ein paar Vokale! - keine Premiere in den USA, dafür aber in Paris (präsentiert von Luc Besson?) und London (Ken Loach, Dany Boyle?). Die dortigen Events sind unter "Gleichheit" und "Brüderlichkeit" verschlagwortet. Berlin ist "Freiheit", sollte jemand fragen.

Nicht Doku-Fiction, noch Big Brother, beeilte sich der in Deutschland weltberühmte Kameramann Jürgen Jürges zu versichern, habe man keine versteckten Kameras verwendet, alle Teilnehmer wußten jederzeit, wann und von wo gefilmt wurde, dabei agierten sie dennoch "absolut natürlich", schauspielerten nicht oder falls, dann derart, daß es keiner merkte - ... lauert hier ein Widerspruch?

Noch ein Wort jene Teilnehmer betreffend: Von vielen ach so grundverschiedenen Menschen zu schwärmen, die anläßlich des Projektes zusammenkamen, lebten, liebten, arbeiteten und alterten, alle unter einem Dach, in vielen Fällen gar länger blieben als ursprünglich geplant, dann aber fortzufahren und sie als "Künstler aus Paris und Stockholm, Dozenten von Princeton und Yale" zu identifizieren... klingt vielfältig, in der Tat. Nicht. Mehr nach der üblichen Peer- und Zielgruppe der Kunstwelt, abzüglich einiger sammelnder Millionäre. Aber vielleicht zählten unter die Teilnehmern tatsächlich auch "normale Menschen", ukrainische Tagelöhner gar, wie sie auf den Straßen jeder europäischen Großstadt zuhauf zu finden sind und man hat dies nur nicht richtig kommuniziert.

Wie dem auch sei, das soziale Experiment mündete in dreizehn Spielfilme und "mehrere" Miniserien - zu faul, Ihren FiIm auf ein anständiges Maß hinabzukürzen, oder einfach nur willens, die Kosten für den Cutter einzusparen? Mach' eine Miniserie, gibt auch mehr Zeit für Werbepausen. Über 200 Stunden(sic!), das ist beinahe ein Filmfestival für sich allein. Und Sie - jene unter Ihnen, die der diesjährigen Berlinale beiwohnten, und sei es nur mittelbar auf wartsmagazine.com - dachten, vierstündige philippinische Kriegsopern seien zu lang!

Eine zwischenzeitliche Verzögerung im Produktionsprozeß ergab sich durch die Entscheidung, jegliche russische Kofinanzierung vorzeitig zurückzuzahlen, nicht weil es per se schmutziges Geld sei (die ukrainische Wirtschaft scheint kaum weniger mafiös) sondern aus politischen - und vielleicht historisch-symbolischen - Gründen. Der Name von Tom Tykwers eigener Produktionsgesellschaft nebenbei bemerkt lautet X-Filme, er tat acht, ihn wiederholt beiläufig einfließen zu lassen. Ich weiß genau, was Ihr Browser vorschlägt, beginnen Sie, dies einzutippen.

Desweiteren war zu erfahren, daß für DAU keine Eintrittskarten verkauft werden. Sondern Eintrittskarten, die Visas heißen. Es wird sie in mehreren Varianten geben, gültig für 2, 24 oder 72 Stunden, auch für die gesamte Ausstellungsdauer von vier Wochen. Während der Gültigkeit ist das Auschecken jederzeit gestattet (hoffentlich). An der Grenze - dem Checkpoint Ilya? -, werden Besucher sich genötigt sehen, ihr Dummfon gegen ein dediziertes Gerät einzutauschen, das ihre sämtlichen Bewegungen auf dem Gelände protokolliert, nicht ungleich der Gewohnheiten des KGB damals und Googles heute. Es hilft, sich das Kunstwerk zu erschließen und den Besuch zu "individualisieren" (sprich, wie stets im Falle von Automatisierungstendenzen: jeden Wechsel von Gewohnheiten und das Aufeinandertreffen mit Neuem möglichst zu unterbinden, den Nutzer kontrolliert und berechenbar zu halten). Nebenbei erfüllt die Technik den Zweck, alle möglichen Statistiken erheben und die Besucherströme im Rahmen des Sicherheitskonzeptes steuern zu können. Anläßlich Ihres Besuches treffen Sie mithin auf je andere Schauspieler und wohnen speziell auf Ihre "Bedürfnisse" und Erwartungen abgestimmten Performances bei.

Alternativ bringen Sie eine neonfarbene Presseweste mit, das funtioniert zumindest in manchen Kriegsgebieten.

Viel Lärm um... ein beindruckendes Gesamtkunstwerk oder ein Spektakel, das einem Regisseur lange Zeit Beschäftigung verschaffte - immer noch verschafft -, das aber kaum auf Gegeninteresse stoßen und alsbald vergessen sein wird?

Seien wir gespannt, es herauszufinden! Die Welt braucht mehr Mauern, nicht zuletzt, die Invasion der DAUs einzudämmen.

DAU: Freiheit, “Vier Wochen” ab dem 12. Oktober

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


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