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Christian Hain

De/Maskiert: Die Kunst in den Zeiten des Corona. Christo & Jeanne-Claude am Palais Populaire


Dieser Artikel wurde vor der Nachricht vom Tode Christos verfaßt. Er erschien zuerst im Mai 2020 auf der Website des New Art Examiner.net; eine englischsprachige Version findet sich zudem in der Printausgabe Juli/August des NAE. (Berlin.) Seit Anfang Mai dürfen Berliner Ausstellungshäuser unter gewissen der „Viruskrise” geschuldeten Einschränkungen wieder öffnen, so ist das Tragen einer Gesichtsmaske ebenso wie die Online-Reservierung eines Zeitfenster für Besucher obligatorisch. Während die meisten Institutionen und privaten Galerien sich für einen sanften Wiedereinstieg entschieden, zunächst einmal die Laufzeiten solcher Ausstellungen verlängerten, die bereits eröffnet waren bevor der ganze Ärger begann und sich nun bemühen, das Programm für den Rest des Jahres anzupassen, nutzte der Deutsche Bank eigene Palais Populaire die Zeit zum Neuaufbau. Am ersten Tag, da dies wieder möglich war, stellte man eine Retrospektive vor, die ohnehin für diesen Frühling geplant war und die in einer glücklichen Fügung des Schicksals den Umständen perfekt angepaßt scheint. Wohl kaum eines Künstlers Werke ließen sich trefflicher durch die Maske betrachten denn jene der Verpackungslegenden Christo und Jeanne-Claude, wenngleich... nun, das ist eine Bank, bzw. eine bankeigene Ausstellungshalle, und sich ausgerechnet hier zur Verschleierung seiner Identität genötigt zu finden, ist doch noch gewöhnungsbedürftig. Man denke nur an all jene Wachmänner, die plötzlich ihre ureigensten Instinkte umtrainieren und den Bankräuber-Stil noch unter den distinguiertesten Anlegern durchsetzen müssen! Beachten Sie in diesem Zusammenhang auch, daß nicht jeder unter ihnen Sinn für Humor zeigt, kreuzen Sie mit einer Karnevalsmaske statt der langweiligen Normaloversion auf (fragen Sie nicht...).


Nach all den Jahren bewahren sich viele Berliner noch beste Erinnerungen an Christos Reichstagsprojekt von 1995, als der Künstler und seine Kollegin/Assistentin/Ehefrau Jeanne-Claude (die mittlerweile, 2009, verstorben ist) das historische Parlamentsgebäude in ihrer typischen Manier einkleideten. Eine Retrospektive ihrer Karriere sollte zahlreiche Besucher anlocken, weshalb die Entscheidung, während der gesamten Laufzeit freien Eintritt anzubieten umso lobenswerter erscheint - man möchte die vom Hausarrest gebeutelte Bevölkerung mit Kunst trösten, so die (PR-) Idee dahinter.


Der verpackte Reichstag bescherte dem Paar viele Fans und gar Sammler, unter letztere zählt Thomas Jochheim, der das Projekt einen seiner beiden Lieblingsmomente in Berlin nennt, gleichauf mit der Kennedyrede 1963, die er als Kind mitverfolgte. Gemeinsam mit seiner Frau Ingrid hat er eine der weltweit größten C&J-C Sammlungen zusammengetragen und leiht der Deutschen Bank für den heutigen Anlaß fast alle Exponate (sollen wir raten, welcher Finanzinstitution man auch bei kunstfernen Anlagen vertraut...?). Obgleich der vielzitierten Risikogruppe für die „Chinagrippe“ angehörend, beehrten die Sammler die Vorstellung der Ausstellung mit ihrer Anwesenheit und hatten manch eine Anekdote aus den Jahren der Bekanntschaft mit Christo und Jeanne-Claude im Gepäck. - Wer hätte gedacht, daß der Künstler „die besten Bloody Marys in ganz New York City“ mixt?!


Nicht allein auf den nostalgischen Blick in den Rückspiegel bedacht, noch darauf, einen geschätzten Sammler und Kunden zu ehren, liefert den Anlaß für die Ausstellung eine neue Installation in einer anderen europäischen Metropole: Die Verpackung des Pariser Arc de Triomphe hätte im Herbst diesen Jahres vonstatten gehen sollen, mußte „aufgrund der aktuellen Situation“ inzwischen aber in den September 2021 verschoben werden, „mince alors“. Über die verlängerte Wartezeit - fast, als starre man auf ein Paket, um dessen Inhalt man zwar weiß, das zu öffnen man aber kaum erwarten kann – hilft uns der Palais Populaire mit einem Überblick auf das Gesamtwerk des Künstlers hinweg, in Dokumentation: Photographien und Zeitungsausschnitte, Originalwerken: frühe verpackte Zeitschriften und Objekte aus den 1960er Jahren, und oft gar beidem zugleich: Skizzen für die großen Installationen von einer der ersten, Wrapped Coast, Australien, 1969, bis zur jüngsten, Floating Piers, Lago di Iseo, Italien, 2016.


Jene Großprojekte brauchen wir kaum näher zu beschreiben, finden sich doch bestimmte Bilder und Konnotationen weltweit fest mit den Namen der Künstler verbunden. Jetzt aber mit ihrer Gesamtheit konfrontiert, begreift der Betrachter erst, wie großartig diese Kunst ist, indem sie scheinbar gegensätzliche Positionen vereinbart: Trotz des eher abstrakten Konzepts lassen sich die „Endprodukte“ – und nicht zuletzt die Skizzen! – mühelos mit traditionellen Vorstellung von Ästhetik vereinbaren, womit sich ihr Erfolg erklärt. Die anfänglichen Routineproteste überwunden, zeigten sich Massen und –medien regelmäßig begeistert und das bedeutet eine nicht zu unterschätzende Werbung für die zeitgenössische Kunst ganz allgemein.

Es ist immer wieder auf’s neue beeindruckend, wieviel Arbeit in jedem verwirklichten – und unverwirklichten! – Projekt steckt. Die beinahe abgeschlossenen Vorbereitungen für den Arc de Triomphe begannen in den 1970ern, während die ersten Reichstagzeichnungen auf 1983 datieren, usw. Selten läßt sich Christo von einer Idee abbringen, von den gut fünfzig Projekten, die er jemals ernsthaft in Betracht zog, wurde ungefähr die Hälfte auch verwirklicht. Das zeugt von Beharrlichkeit, und dem Ausmaß, in dem äußere - politische, soziale, gesellschaftliche - Umstände das Schicksal eines Großkunstwerks mitentscheiden. Regelmäßig zum Vergleich zwischen Skizze und Photo auffordernd, demonstriert die gegenwärtige Ausstellung, wie gründlich der Künstler jedes Detail vorausberechnet, bis hin zum letzten Schattenwurf und den leisesten Windbewegungen im Planengewand. Ein mancher mag die Zeichnungen als bloße Mittel zur Finanzierung verwerfen, als Souvenirs und Fanartikel, und doch überwinden sie die traditionelle Skizze, werden bisweilen selbst dreidimensionales Objekt mit der Integration winziger Verpackungselemente auf dem Papier.


Was die Ideen hinter dem Konzept betrifft, spielt natürlich die Readymade-Tradition eine Rolle, auch Fluxus und Mail Art, wie sich insbesondere in den frühesten Werken zeigt. Letztenendes geht es darum, ein fertiges, vorgefundenes, Objekt wie ein Paket zu verschnüren – dann aber nicht abzuschicken, sondern „nur“ in einen neuen Kontext zu überführen.

Verpacken, verdecken und verhüllen sind gewöhnlich negative Assoziationen beigemessen, da wir darauf bedacht sind, die „Wahrheit“ hinter den Erscheinungen aufzudecken, sie zu enthüllen und zu entschleiern; wir möchten hinter die Marketinglügen schauen, welche die Dinge trügerisch hübsch verpacken. Dagegen steht jedoch die Eigentümlichkeit eines Geschenks, das durch die Verpackung umso begehrenswerter wird: Wären Geburtstagsgeschenke als Ritual nicht weniger schön, wenn unverpackt und nackt? Hier steigert die Verpackung das Interesse am Inhalt und unterstreicht die Binsenwahrheit „haben ist weniger denn wollen“. Alle Vorfreude kulminiert im Augenblick, da wir Hand anlegen und das Papier aufreißen (was folgt, mag durchaus enttäuschen). Als höflicher Mensch entsorgt man den Inhalt nicht, so unerwünscht er sein mag, allerdings findet die ephemere Verpackung alsbald den Weg in den Abfalleimer (die Altpapiertonne – wir sind ja anständig!).

Jeder Geber legt seiner Gabe etwas seiner selbst bei: Das ist nicht einfach „eine Vase“, das ist „die Vase, die uns Tante Bertha zur Hochzeit geschenkt hat, so häßlich sie ist, können wir sie nicht wegwerfen“, das gilt auch für Dinge, die bereits eine Geschichte mitbringen, von Antiquitäten zu gebrauchten Kleidern. Wenn Christo historische Gebäude verpackt, präsentiert er sie als Geschenke der Vergangenheit, für die wir Dankbarkeit zeigen (zumindest heucheln) müssen, selbst wenn sie mit Verantwortung und einem historischen „Geschmäckle“ verbunden sind. Grundsätzlicher gesprochen läßt sich jedes Kunstwerk als Geschenk des Künstlers an die Welt beschreiben und wenn Christo die Schöpfungen anderer (i.e. Architekten) einwickelt, involviert das eine Referenz an jene. In Fällen, da es sich weder um Gebäude, noch um Brücken oder ähnliches handelt, sondern um Elemente der Natur: Bäume, Täler, Seen, impliziert das nicht nur einen Transformationsprozeß von Natur zu Kultur, lenkt der Künstler nicht (nur) unser Augenmerk auf sich selbst, nicht (nur) auf jene Erscheinungen, sondern auch auf ihre Schöpfung, gleich welche Kräfte der Rezipient sich entscheidet, dort am Werke zu sehen. Verpackt, verhüllt, erscheint das Objekt, das Gebäude, der Ort in neuem Gewand und – das mag jetzt trivial klingen – bedeutet nicht alle Kunst eine Verschönerung des Lebens, dient sie mithin nicht ein Stückweit demselben Ziel wie Kleider und Kosmetika? Auch wohnt jeder Verkleidung die Macht inne, Wahrheiten zu entdecken, die anderenfalls verborgen blieben - nicht allein „in vino veritas“, auch hinter einer Maske lauert der „wahre“ Charakter, wie regelmäßig im Karneval und an anderen Kostümfesten zu beobachten ist, sei es zum besseren oder zum schlechteren...


Es funktioniert nicht immer: Die Verhüllung der Pont Neuf 1985, Christos erste Pariser Installation, war vielleicht sein am wenigsten beeindruckendes Werk. Zumindest in Photographien - und wenige unter uns werden die Installation „live“ miterlebt haben – gleicht das Bild doch arg gewöhnlicher Baustellenverhüllung, die Restaurationsarbeiten an einem historischen Monument neugierigen Blicken entzieht. Es mag ein Grund für den unbedingten Wunsch gewesen zu sein, noch einmal in die Stadt zurückzukehren, und dies im nächsten Jahr dann auch endlich (hoffentlich) zu tun.


Für die fernere Zukunft verfolgt der Künstler bereits neue Projekte, wenngleich er das Colorado River Projekt endgültig aufgegeben hat – manchmal erweisen sich die anfänglichen Proteste als übermächtig selbst in einem Land in dem einst galt: „everything goes“. Zunächst aber wollen wie noch einen Schritt zurücktreten: Bauwerke und Landschaften in ihrer einzelgefertigten „Burka“ sind ein beeindruckender Anblick, dazu findet sich hier aber auch die Zeichnung einer Wrapped Woman, ein Projekt am Philadelphia Art Institute 1968, das heute unweigerlich auf andere Interpretationen träfe als zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Nicht bloß erinnert es nun an die figürlicheren Skulpturen Tony Craggs (und Loris Gréauds verpackte Form [I] am Louvre, 2013), sondern, geht man auch über die sich aufdrängenden „Leichensack/Mordopfer in gerolltem Teppich”-Assoziationen hinaus, klingt bereits die Erwähnung einer “verhüllten” Frau nun anders als damals, als wohl niemand einen Gedanken an islamischen Extremismus, Einwanderung und Konflikte zwischen Klerikalität und Kunstfreiheit in dem Kontext verschwendete. Es geschieht allzu häufig: Zeitgeschichte verändert, überschattet, ja: maskiert, Kunst und ihre Perzeption. Dabei läßt sich eine gewisse Faszination des Künstlers für den Orient nicht verleugnen, vergessen wir nicht: Jeanne-Claude wurde im damals noch kolonial-französischen Marokko geboren. Eines der bislang unverwirklichten Projekte ist die “Mastaba” für Saudi-Arabien. Der Titel verweist auf eine andere, skulpturalere, Werkserie als die Verhüllungen, Objekte auf halbem Wege zwischen überdimensioniertem Bauklötzchen und geköpfter Pyramide, von denen es bislang Manifestationen bspw. in London (The London Mastaba auf dem Serpentinesee, 2018) und Philadelphia (Institute of Contemporary Art, 1968) gab. Gleich jenen soll die für der Welt größte Petroleumnation vorgesehene ganz aus Ölfässern entstehen, dabei jedoch dauerhaft Bestand haben – ein Novum für den Künstler. Der arabische Begriff „Mastaba” läßt sich mit „Bank“ übersetzen (nicht wie in „Deutsche“, das andere Teekesselchen) und bezeichnet ein Kernelement ägyptischer Pyramidenarchitektur, das in Christos Zeichnungen durchaus einem schwarzen Kubus gleicht. Das könnte auf lokale Widerstände stoßen, man denke an den Kaba (und Malewitsch) beeinflußten „Cube”, den Gregor Schneider einst vor die Hamburger Kunsthalle stellte, nachdem hitzige Diskussionen ihm den Zutritt zu Venedig 2005 verwehrt hatten.

Ob die Zukunft nun dieses oder andere Projekte (zuerst) enthüllt, ganz sicher ist der Palais Populaire in diesem Sommer allen Beschränkungen zum Trotz eine Reise wert und der Besuch einer Ausstellung, die umfassende Einblicke in eine lange und erfolgreiche Künstlerkarriere gewährt.


Christo und Jeanne-Claude: Projekte 1963-2020, Werke aus der Sammlung Jochheim, 6. Mai-17. August 2020, Palais Populaire, Berlin

World of Arts Magazine - Contemporary Art Criticism

 

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