(Berlin.) Willkommen zurück nach einer doch sehr ausgedehnten Winterpause! Plötzlich ist es 2020 und so vieles hat sich geändert, schon schweift der Blick voller Wehmut zurück auf das Vergangene: „Weißte noch, Zwanzichneunzehn, der letzte Sommer, als Onlinebanking noch schnell und einfach war?“ Bevor die EU-Bürokraten im Herbst übernahmen, PSD2 (Payment Services Directive Two) und damit zahllose Fälle von PTSD (Post-Traumatic Stress Disorder) verordneten? Fast klingt es wie ein Traum aus paradiesischer Parallelwelt, tatsächlich aber war es noch vor wenigen Monaten nicht nötig, fünf Paßwörter und sieben PIN-Codes einzugeben, dann drei Barcodes zu scannen, ja war es vollkommen egal, hatte man das Handy des Morgens im Badezimmer vergessen, seit einer Stunde in der Küche geladen, oder einfach mal wieder keine Ahnung, wo das Mistding sein mochte, wollte man nur kurz vom Schreibtisch aus seinen Kontostand abfragen. Nein, nicht alles wird immer einfacher im Fortschritt (und dann hat sich auch noch eine bekannte amerikanische Kaffeehauskette bei der Renovierung ihrer Filiale auf dem Ku’damm gedacht, die Menschheit schrumpfe wieder ins Mittelalter und den bislang so beliebten Coworking Space mit Puppenhausmöbeln ersetzt, deren Tischlein bis knapp über die Fußknöchel reichen - serviert aber weiterhin weder Sake noch Sushi). ...Guuuut, dieser kleine Ausbruch sollte Sie in die rechte Stimmung für eine brandneue Ausstellungskritik versetzt haben!
Die Deutsche Bank kann sich dem neuen Zwang zur Kundenfolterung natürlich nicht entziehen und ist darob wohl nicht einmal traurig (weniger Nutzer bedeuten weniger Serverauslastung, ein wenig läßt sich da einsparen – und man bleibt trotzdem auf dem neuesten Stand der Technik!). Wie wir alle wissen, hat die hauseigene Kultursponsoring- und Kunstsammlungsabteilung kürzlich neue Räumlichkeiten Unter den Linden Berlins bezogen, gleich neben der Staatsoper, mit der man sich nun eine Bushaltestelle teilt.
Seit dem Einzug waren beide Seiten neugierig auf die neuen Nachbarn, eifrig evaluierte man künftige Kooperationen, träumte von Einsparungspotentialen und potentiellen Win-Win Situationen. Es klingt ja auch wirklich wie die perfekte Vernunftehe: hier ist das Geld, da das Renommée. Schenken wir den Ansprachen anläßlich der Eröffnung am DB PP (Deutsche Bank Palais Populaire) Glauben, war es die öffentliche Hälfte, die endlich den ersten Schritt tat und dem wohlsituierten Zuzügler die Hand reichte - nicht etwa, um schüchtern die Bedingungen der Möglichkeit eines (neuen) Kredites auszuloten (das vielleicht auch, aber ohne Rückzahlungspflicht, ein Geschenk, vulgo: Sponsoring), sondern ein erstes gemeinsames Projekt anzustoßen. In diesem Februar gibt man Richard Straußens - nicht etwa mit dem Operettenkönig Johann „Sohn“ zu verwechseln! - Rosenkavalier in einer Inszenierung des österreichischen Spektakelmachers André "Ondree" Heller (Eigenaussprache, und nicht etwa konsequent "Ondree `ällärr"), welcher seine Landsmännin und liebe Freundin, die gnä’ Frau Xenia Hausner lud, das Bühnenbild zu gestalten, oder wenigstens die Kulissen zu bemalen. ...Ob der Palais Populaire da nicht zufällig einen Ausstellungsslot frei hätte? Man hatte! und warf sich voller Verve in die Rolle des generösen Gastgebers in einer romantischen Public-Private-Partnership, die allen Beteiligten nur Gutes verspricht. Beide eröffneten – oder: feierten Premiere - an einem Sonntag Mitte Februar, da die Bank nachmittags den Auftakt machte.
Am Palais Populaire erwarteten den geladenen Gast Skizzen zu Hausners Bühnenbildern (die Endversionen stehen aus naheliegenden Gründen nicht zur Verfügung....), ein Spielzeugmodell des Opernhauses und wenige Requisiten. Ein Paar roter Pumps hat nicht etwa HP Feldmann hier reingeschmuggelt, auch es entstammt dem Hause Hausner und ist ganz aus Glas(!). In der Hauptsache aber sehen wir Gemälde. Sehr aktuelle Arbeiten, dabei nicht explizit für den Anlaß gefertigt, stehen sie in keiner unmittelbaren Verbindung zur Oper. Alle porträtieren mensch*innenliche-Pärchen, der Mode gemäß in allen Geschlechtsvariationen gemischt (in monotoner Gleichschaltung gibt es da eh’ nur noch ein einziges austauschbares „Gender“) und - ebenfalls ganz modern - mit einigen stärker pigmentierten Gesichtern. Überhaupt sind die Arbeiten sehr bunt, und auch sehr gekonnt – ja, Xenia Hausner ist eine weitere figurative Malerin aus deutschsprachigen Landen, dabei aber eine sehr gute, die auf eine über Jahrzehnte spannende Karriere zurückblicken kann (dieselbe begann einst an den Theaterkulissen, es handelt sich bei dem Opernengagement also um ein Zurück zu den Wurzeln). Die Gemälde könnten mit Leichtigkeit in jeder Anzeigenkampagne – zum Beispiel eines Bankhauses - figurieren, wäre da nicht ein auffälliges Detail: Als persönliche Note versieht Hausner ihre Protagonisten fast ausnahmslos mit den tiefsinnigsten, bedeutungsvollsten, ja: melancholischsten Gesichtsausdrücken, die uns seit langer Zeit untergekommen sind. Die mögen alle ihr trauriges Schicksal kontemplieren, verurteilt, den Sinn einer sinnlosen Welt zu schultern, ein Mienenspiel allenfalls dem eines DB Family Office Kunden vergleichbar, dem sein einziger Erbe soeben den Plan eröffnet, eine „Karriere“ in der Kunst anzustreben.
Welcher Dramatiker kommt Ihnen zuerst in den Sinn, lautet die Frage nach dem diametralen Gegenpol lustig-heiteren Opernlebens? - Korrekt: Beckett. Xenia Hausner betitelt die Ausstellung mit einem Happy Days entstammenden Zitat: „This will have been another happy day“. ... Auf den zweiten Blick mag auffallen: Ihre Liebesleider betreten alle nur von der Hüfte aufwärts den Rahmen, mögen also durchaus halbbegraben sein!
Jene Eröffnung war alles andere als eine traurige Veranstaltung, wenngleich sich gewisse Parallelen zwischen den Gesichtern auf und vor den Leinwänden nicht von der Hand weisen ließen, die passenden Adjektive lauten in diesem Fall aber „seriös“, „gediegen“ oder „erhaben“. Am Ende des Tages war es die Deutsche Bank, die geladen hatte und da hat man doch gewisse Standards zu wahren – eine Bitte um RSVP findet sich im allgemeinen eher selten unter einer Einladungsmail zur Vernissage. Auch gab es Champagner (Sekt?) und Brezeln all inclusive, kaum aber Künstler, Studenten und anderes Prekariat, davon zu profitieren. Nein, abgesehen von einer Handvoll Journalisten und Blogger, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht zum separaten Pressetermin geschafft hatten (die Einladung galt für beide Veranstaltungen), fanden sich ausschließlich Private Banking Kunden ein und solche, die es sein könnten (oder möchten), Bankenmienen und wohl gar Opernmimen in Abendgarderobe. Ich überhörte einen gesetzten Herrn in unverkennbarem Wiener Schmäh sich beklagen, daß er seinen Smoking zuhause habe liegengelassen und sich so in diesen schlichten grauen Anzug gezwungen fand. - Ist es nicht furchtbar? „Österreich“ ist übrigens ein gutes Stichwort: Sie waren überall, man hätte eigentlich auch Kaiserschmarrn und Kräuterschnaps beim Caterer bestellen können. Nur wer den Raum nach jenem längst über alle Alpengipfel in geradezu mythologische Sphären enthobenen Übergalleristen Ausschau hielt, beging einen – nachvollziehbaren – Fehler: Xenia Hausner wird gar nicht von Ropac vertreten, sie zeigt (muß man jetzt „nur“ sagen, klingt das mehr nach SSK und Volksbank als nach Global Player?) bei Deschler, Berlin und Forum, NYC.
In einer herzerwärmenden Lobrede auf die liebe Freundin fabulierte der gewiefte Ondré dann noch von einer eingeschworenen Fan- und Käufergemeinde, deren Mitglieder sich “gleich Opel Manta – oder sagen wir lieber Rolls Royce, das paßt hier besser – Fahrern” auf der Straße kennerlich grüßten. Na denn.
Wer keine Premierenkarten ergattern konnte oder wollte, besuchte noch die zweite Ausstellung am Hause, Caline Aouns Seeing is Believing. Und während jene Aufführung in der Tagespresse auf eher verhaltene Reaktionen treffen sollte, erntet diese Ausstellung seit ihrer Eröffnung im Herbst schon viel Applaus – und das zurecht!
Eine Ein-Raum-Ausstellung, die man fast für eine einzige Installation halten möchte, so nahtlos fließen ihre Teile ineinander, so sehr ergibt sich ein harmonisches Ganzes. Mehrere Wände bedecken A4-Ausdrucke, die in minimalistischen Zeichnungen ein bißchen Hanne Darboven-esque den Warenumschlag von Gütern in Beiruts Flug-und Seehafen illustrieren, von diversen Erdölderivaten zu „Kohle-, Durchschreib- und anderem Vervielfältigungspapier“ und „Kaffee, geröstet oder ungeröstet, auch entkoffeiniert“. Man ist da sehr präzise. Die Übersetzung des Herzschlags einer Ökonomie in Kunst ist keine originelle Idee mehr, in dieser Ausführung aber besonders beeindruckend. Auch wurde die Arbeit wohl tatsächlich für den Anlaß geschaffen, der in Aouns Ehrung als Deutsche Bank Künstler des Jahres besteht (2019 oder 2020 eigentlich?). Dazu unter anderem noch eine Stop-Motion-Videoprojektion von sich an der Küste brechenden Wellen: panta rhei gebannt von und in moderner Technik sowie mehr, und größere, Ausdrucke auf einer weiteren Wand: Ergebnisse eines sich in beständigem Schwarzdruck zur Gänze entleerenden Tintenstrahldruckers, dabei zufällig, aber doch vorhersehbar, Muster und Formen schaffend, vielfarbig fast, eben durch die Absenz von Farbe, durch Lichtbrechungen auf dem immer dünner werdenden Nichtfarbfilm und dem durchschimmernden Untergrund. Auch vier Fontänen in der Mitte des Raumes, deren jede eine andere Farbe gurgelt (des CMYK-Farbmodells, also cyan/türkis, magenta/violett, yellow/gelb, black/schwarz) und wir lesen, die seien miteinander verbunden, werden mit der Zeit ihre Farben mischen und tauschen, ihre je individuelle Eigentümlichkeit an die neue Einheit aufgeben. Stand jetzt scheinen sie noch sehr unterscheidbar, in schwarz, rot, grün und blau allerdings. Achtung: Zur Abwechslung sind wir einmal angehalten, hier NICHT politisch zu interpretieren, selbst wenn das Kunst und gar noch Kunst in Deutschland ist, wo sich der Begriff im allgemeinen mit ganz großem „P“ schreibt! Die in der Ausstellung häufig gebrauchte Rede von „digitalem Datentransfer in vielen Formen“ klingt da schon korrekter. Die libanesische Künstlerin transferiert zum Beispiel auch Piniennadeln aus ihrem Naturzustand in metallene Kopien, usw. Insgesamt eine beeindruckende Ausstellung, die über digitales WYSIWYG (What you see is what you get) weit hinausgeht.
Xenia Hausner, “This will have been another happy day”, 9. Februar-2. März 2020
Caline Aoun, Seeing is Believing, 15. November 2019-2. März 2020
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